Ulrich Trebbin: Die unsichtbare Guillotine

  Vergangenheit und Zukunft der Stadelheimer Guillotine

Ich halte es für richtig, die Guillotine von Stadelheim der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Deshalb habe ich hier ihre Geschichte aufgeschrieben […]. (S. 16)

Am 22.02.1943 wurden im Gefängnis München-Stadelheim die Mitglieder der Weißen Rose Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst guillotiniert. Ihre Hinrichtung basierte auf dreien der etwa 2600 Todesurteile, die der fanatische nationalsozialistische Präsident des Volksgerichtshofes Roland Freisler während seiner zweijährigen Amtszeit verhängte. Es waren drei von 11.000 vollstreckten Todesurteilen während der Zeit des Dritten Reichs, drei der über 3000 Exekutionen des Scharfrichters Johann Reichhart und drei der gut 1.300 zwischen 1855 und 1945 mit der Stadelheimer Guillotine durchgeführte Tötungen.

Joseph-Ignace Guillotin (1738-1814)

Opfer, Scharfrichter, Konstrukteure
Der Hörfunkautor und Online-Journalist beim Bayerischen Rundfunk Ulrich Trebbin zeichnet in seinem trotz des enormen Faktenreichtums hervorragend zu lesenden Sachbuch Die unsichtbare Guillotine nicht nur die Geschichte der Stadelheimer Guillotine, ihrer Opfer und Scharfrichter und das immer wieder veränderte Procedere der Hinrichtungen nach. Er widmet sich auch den Gründen, die zu ihrer Einführung in Bayern führten, beschreibt die Vorläufer der berüchtigten französischen Revolutionsguillotine und die 1789 vom französischen Arzt und Politiker Joseph Ignace Guillotin vorgeschlagene, vom Sekretär der Akademie für Chirurgie Antoine Louis entworfene und schließlich vom in Paris lebenden deutschen Klavierbauer Tobias Schmidt gebaute Guillotine, auf der während der 14-monatigen Terrorherrschaft der Französischen Revolution zwischen 16.600 und 40.000 Menschen wie am Fließband starben.

1855 vom Münchner Mechanikus Johann Mannhardt mit einigen technischen Neuerungen angefertigt, löste die Stadelheimer Fallschwertmaschine, die fortan durch Bayern reiste, die „störanfälligen“ Enthauptungen per Schwert durch oft angetrunkene Scharfrichter ab. Da Todesurteile auf Mordfälle beschränkt blieben, fanden unter dem Stadelheimer Fallbeil in den 77 Jahren bis 1932 „nur“ 125 Verurteilte den Tod. Einige aufsehenerregende Fälle werden im Buch aufgegriffen und im ausführlichen Anhang finden sich alle Namen, Sterbedaten, Hinrichtungsorte und Vergehen aus dieser Zeit. Um ein Vielfaches höher war die Zahl der Opfer zwischen 1933 und 1945: knapp 1.200 lassen sich nachweisen, nun oft aufgrund politischer „Delikte“:

An die Stelle der Grundrechte des Einzelnen tritt die Wahrung der „völkischen Gemeinschaftsordnung“, und an die Stelle von Recht, Strafe, Sühne und Gerechtigkeit treten Vernichtung, Rache, Anmaßung, Entehrung und biologistischer Wahn. (S. 110)

Wider die Zensur
Die Forderung, die „in Bayern kaum existierende Erinnerungsarbeit an die Hinrichtungsopfer“ (S. 192) durch die Präsentation der Stadelheimer Guillotine in einer einbettenden Ausstellung zu verbessern, um „ein Bewusstsein zu entwickeln, sowohl für die Barbarei als auch für die seither errungenen Werte“ (S. 196), ist nach allen Richtungen wohlüberlegt und mit konkreten Vorschlägen untermauert. Von ihrer Existenz im Depot des Bayerischen Nationalmuseums erfuhr die staunende Öffentlichkeit erst durch einen sehr empfehlenswerten Beitrag Ulrich Trebbins im Bayerischen Rundfunk 2014, vorher galt sie als verschollen. Zu sehen war sie seit 1945 nur bei einer Ausstellung zum 100. Geburtstag des Komikers Karl Valentin 1982 in Erinnerung an dessen schwarz-humorige Hinrichtungssketche, allerdings damals noch ohne Wissen um ihre genaue Geschichte. Höchste Zeit also für eine neue Diskussion über die Zukunft dieses herausragenden Geschichtsdokuments:

Die Entscheidung, welche Exponate ausgestellt werden, sollten – wie sonst auch – Kuratorinnen treffen und nicht Politiker, denn wenn der Staat schon vorab Verbote ausspricht, ist das nichts anderes als Paternalismus und Zensur. Und beides darf in einem freien und demokratischen Land keine Option sein. (S. 201)

Ulrich Trebbin: Die unsichtbare Guillotine. Pustet 2023
www.verlag-pustet.de

 

Weitere Rezension zu einem Roman von Ulrich Trebbin auf diesem Blog:

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